Alfred Umhey:

   PULVER, SCHWEISS UND BEAUJOLAIS

                              

                 Impressionen eines historischen Beraters bei den Dreharbeiten zu

NAPOLEON -Soldier, Emperor, Lover, Statesman

(PBS home Video, David Grubin Productions 2000)

 

Liebe Freunde,

nun haben wir ja das Napoleon-Epos des ZDF hinter uns gebracht.
Es bleibt uns also nur zu hoffen, daß sich Arte endlich dazu bequemt, die 1999 gedrehte frz/amerikanische Dokumentation über Napoleon zu zeigen, die vor 2 Jahren bereits in Frankreich lief und in der längeren (US)- Fassung sowohl als Cassette (NTSC) als auch als DVD zu erhalten ist (Amazon).
Auf letzterer ist auch ein 5-minütiger Bonustrack  über die Dreharbeiten zu dieser Doku.

 

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 Oben: der Verfasser (Mitte im Bild)

Seinerzeit war ich historischer Berater und habe dazu auch einen Bericht geschrieben, den manche vielleicht schon kennen, den ich aber aus aktuellen Anlaß einfach mal wieder unters Volk streuen möchte.
Viel Spaß beim Lesen.

Jedenfalls weiß ich seit damals, daß man keine 40 Millionen € braucht, um einen guten Film zu machen... 

 

             

6.Juli 1999...

 

6.Juli 1999, 23.00.

Das Auto ist beladen mit Uniformen, Ausrüstung   und Zelt. Ich schalte den Computer aus, die letzten mails vor der Abreise sind verschickt. Vor einer halben Stunde habe ich noch einmal mit Didier, dem Regieassistenten telefoniert, um die Liste unserer Mitspieler zu aktualisieren und die Änderungen des Drehplanes von gestern zu besprechen.

Jetzt noch mal ausschlafen, denn die nächsten Tage werden für diesen Luxus kaum Zeit bieten...

 

7. Juli 8.00 Rastatt, Regen.

Das fängt ja gut an. Ich überquere den Rhein und während ich an Colmar vorbei Richtung Mulhouse und Burgundische Pforte fahre, kommt ein Anruf, daß die Gruppe aus Mähren gestern Abend abgesagt hat. Damit fehlen mir weitere 20 Österreicher.

Meine Stimmung paßt sich der trüben Wetterlage an.

Als ich bei St. Amour die Autobahn verlasse und quer durch’s Beaujolais fahre haben sich Wetter und Laune erheblich gebessert. Strahlender Sonnenschein und die Prognose, das es für den Rest der Woche so bleibt.

Um ½ 1 sitze ich im Café du Commerce in Pont de Vaux und warte auf Romain und Didier,  den Co-produzenten  und seinen Regieassistenten aus Paris. Mein Handy hat keinen Netzempfang hier, ein Problem das nicht nur mich betrifft, wie wir bald feststellen werden.

Draußen auf dem Platz kommt gerade der Konvoi mit den Windmaschinen und den Fahrzeugen der Abteilung Spezialeffekte an. Wenige Minuten später ist das Team komplett. Neben Romain und Didier sind auch der Kameramann James und Allyson, die zierliche aber resolute Produzentin aus New York dabei, so daß wir bei einem reichhaltigen Mittagessen in einem nahegelegenen Restaurant die Einsatzpläne für den  morgigen Tag besprechen können.

 

Während wir am Nachmittag die Drehorte besichtigen stellen wir fest daß es außer auf eisernen Kanaldeckeln oder unter metallenen Ladenschildern im ganzen Ort keinen Empfang für die Mobilfunknetze gibt. Das bedeutet jede Menge Beinarbeit für die Regie –und Produktionsassistenten.

 

An der kleinen, mit Geranienkästen dekorierten Fußgängerbrücke suchen wir die beste Perspektive für die „Brücke von Lodi“. Seit dieser Schlacht, im ersten Italienfeldzug 1796 , nannten   seine Soldaten  Napoleon Bonaparte den „kleinen Kaporal“ und er selbst schrieb später „hier fühlte ich zum ersten Mal, daß ich ein besonderer Mensch bin“. Also eine Schlüsselszene für seine Biographie und Legende.

Im Gepäck habe ich einen zeitgenössischen Kupferstich, der General Bonaparte an der Brücke zeigt. Wir finden eine Einstellung, die es erlaubt, genau diese Szene nachzustellen. Im Film wird dann aus dem Stich in die reale Szene überblendet.

 

 

Mittlerweile ist David Grubin zu uns gestoßen, der Regiseur und Drehbuchautor. Der 51-jährige New Yorker ist einer der bekanntesten Dokumentarfilmer jenseits des großen Teiches.

Seine Biographie liest sich wie ein Verzeichnis internationaler Filmpreise. Bei den Vorbesprechungen haben wir beide schon versucht, Davids Visionen mit der historischen Wirklichkeit in Einklang zu bringen. Nun werden wir sehen, wie sich das in Szenen umsetzen läßt.

Die schmale Gasse mit den hohen Häuserfronten haben wir letztes Mal als „Location“ für den royalistischen Aufstand in Paris ausgewählt, dessen Niederwerfung durch General Bonaparte seinen Aufstieg maßgeblich beeinflußte. Ich bringe meine Bedenken bezüglich des Geschützfeuers an, und so trabt Didier von Tür zu Tür und erklärt den Anwohnern, sie möchten bitte die Fenster geöffnet, aber die Fensterläden geschlossen halten.

 

Am Ende unseres Rundganges verabreden wir uns für 9.00 am nächsten Morgen um mit Requisite und Spezialeffekten die Szenen für den Nachmittags- und Abenddreh vorzubereiten.

Den Abend verbringe ich bei Freunden im Nachbarort und kann tatsächlich nochmals ausschlafen!

 

Als ich um 9.oo auf Feld No. 1, wie der Drehort heißt, stehe, ist weit und breit keiner zu sehen.

Der Transporter der  Requisite war schon früh im Einsatz und kommt mit leichter Verspätung, fährt mit Schwung auf das Feld -  und bleibt stecken. Alle Versuche das Fahrzeug wieder flott zu machen scheitern, also heißt es ausladen und Karren, Fässer, Tonnen und Kisten für den Bau eines Biwaks quer über den Acker zu schleppen.

 

Toni, der Requisiteur hat gute Arbeit geleistet. Was er den Bauern der umliegenden Höfe abgeschwatzt hat ergibt eine perfekte Kulisse. Sogar eine originale Offizierskiste ist dabei. Während 2 Mann Weidenruten zu Bündeln binden, beginne ich mit dem Biwakbau. Aus Kisten und Brettern entstehen improvisierte Hütten, die mit Decken und Ästen abgedeckt werden.

Wie vor 200 Jahren muß alles herhalten, was die Truppen heranschleppen konnten. Da die Szene den Morgen der Schlacht von Austerlitz darstellen soll, den 2. Dezember also, muß das Gras gemäht werden, der Boden winterlich hergerichtet und der Hintergrund so gewählt werden, daß im Bildausschitt kein belaubter Baum zu sehen ist.

 

In der Mitte des Feldes vergraben unterdesssen die Sprengmeister die Ladungen für die Explosionen, zwischen denen am Nachmittag die französischen Infanteristen vorgehen sollen.

Der Kameramann legt Drehzeit, Sonnenstand und Kameraposition für diese Szene fest und die Produktionsassistentinnen zwängen derweil 2   Dummies in von mir mitgebrachte Uniformen. Diese Puppen werden in der Nähe der Detonationen aufgestellt und sollen dann  effektvoll vom Explosionsdruck umgerissen werden.

 

Zwischenzeitlich sind die Busse aus der Tschechei eingetroffen, und die ersten blau und weiß Uniformierten beginnen den Ort zu bevölkern. Unter den Bäumen auf der „Place d’armes“ reiht sich Zelt an Zelt , Kanonen richten drohend ihre Mündungen stadtauswärts, die Uhr dreht sich unmerklich 200 Jahr zurück...

 

Um 16.00 formieren sich die ersten „Franzosen“ um die Angriffsszene mit den Explosionen zu drehen. Wir arrangieren die Aufstellung, gleichen mit der Kamera ab. „Achtung, Probe – und ACTION“.  Didiers Stimme quäkt durch das Megaphon. Brav trotten die Soldaten los.

„Bumm“ brüllt Didier um die  Explosionen zu markieren. Die Einstellung stimmt, es kann losgehen. Ich stehen neben der Kamera und blicke Allyson über die Schulter, die einen kleinen Videomonitor hat, um die Einstellung zu verfolgen.

 

„Roll Camera“ plärrt es aus der Flüstertüte.  „Speed“ antwortet Allyson, „Action“ brüllt Didier. Dieser Ablauf wird sich in den nächsten Tagen sooft wiederholen, daß ich schließlich davon träumen werde. Die Männer laufen los, die Explosionen krachen und werfen Erdfontänen auf, die Dummies stürzen effektvoll, auf dem Monitor tobt eine gewaltige Schlacht.

3 mal wird die Szene wiederholt, jedesmal mit einer veränderten Kameraeinstellung. Das Resultat ist jedesmal gleich beeindruckend. Unsere 12 Mann die über 20 Meter leeres Feld laufen wirken wie eine Division inmitten eines wüsten Getümmels.

 

Pause für die Darsteller, Kamera und Technik ziehen um und bereiten sich auf die Lagerszene vor. Die Windmaschinen werden herangerollt, die „Nebelwerfer“ aufgebaut, Schienen für die Kamera verlegt, Feuer angefacht. Wir besprechen die Blickwinkel der Kamera für den „Morgen von Austerlitz“. Neben mir steht Marco, der Sprengmeister, verlegen von einem Bein auf das andere tretend. Hinter ihm liegt eine leise vor sich hin qualmende Puppe mit den Resten von dem, was einst eine Uniform war. Ich zucke die Schultern. „Paßt nächstes mal besser auf“ knurre ich ihn an, und Romain kritzelt in sein Notizbuch unter „zusätzliche Kosten“: „1 Uniform gesprengt“

 

Bis die Technik ihre Vorbereitungen abgeschlossen hat, widmen wir uns einer schönen Detailszene, General Bonaparte in seinem Zelt, an Josephine schreibend. Unser „General“ Stefan Roda, bereits des öfteren in der Rolle des jungen Bonaparte erprobt, entfaltet wieder einmal den ganzen Prunk seines bis ins kleinste akribisch ausgestatteten Zeltes, womit für den    passenden Rahmen  gesorgt war.   

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David erklärt, wie er sich die Szene vorstellt und  bittet dann Stefan, „Dear Josephine“ zu schreiben. Auch auf nochmalige Nachfrage bleibt er bei dieser Anweisung, was  Stefan zu der Bemerkung veranlaßt „es sei ihm neu, daß Bonaparte englisch geschrieben hätte“ . Nachdem sich das Gelächter gelegt hat, schreibt der General dann „Chér Josephine“ und blickt danach versonnen auf das Portrait der Liebsten, welches neben dem Schreibpult steht.

„Cut“. Kamera abbauen, zurück zum Biwak. Nächste Szene.

 

19.00 - Alle bereits eingetroffenen Uniformträger werden kraft meiner Entscheidung zu Franzosen erklärt, entsprechend ausstaffiert und malerisch in meiner Biwakkreation verteilt. Feuer qualmen, Soldaten schleifen ihre Säbel, putzen Gewehre und Bajonette, füllen Patronentaschen oder kriechen gerade schlaftrunken aus den improvisierten Hütten.

Ein dichter Nebel hüllt alles ein, dann dröhnen die Windmaschinen los und verteilen die graue Suppe so, daß die Kamera Details erfassen kann. 2 mal wird geprobt, die Laufrichtungen einzelner Personen geändert, Leute umgesetzt, mehr nasses Stroh in die Feuer gepackt.

Dann ist Didier wieder da, hüpft wie Rumpelstilzchen, hebt das Megaphon und beginnt das Spiel mit „Roll Camera“. „Speed“ echot Allyson, „Action“ kommandiert Didier und trotz immer noch fast 25 Grad fröstelt mir bei diesem winterlichen Bild, das sich vor mir ausbreitet.

 

Nach einer Stunde sind alle Sequenzen „im Kasten“, wir warten auf den Sonnenuntergang um die letzte Szene des Tages abzudrehen:

Das Zelt des Kaisers mit einem Wachposten und 2 Stabsoffizieren als Silhouette vor der untergehenden Sonne.

Während es sich die Mannschaften schon im Lager gemütlich machen und sich an ihrem  Abendessen laben,  sitzen die Offiziere noch bis Mitternacht zur Einsatzbesprechung für den nächsten Tag zusammen.

 

 

Wir gehen danach den Drehplan und die benötigten Requisiten durch und resümieren den ersten Tag. Die Zusammenarbeit hat sich gut angelassen, aber heute war es ja auch noch recht einfach. Ab morgen werde ich in Uniform sein, um auch vor der Kamera in einigen Szenen mitzuspielen. Daß ich heute nur mit T-shirt und ohne Kopfbedeckung bei der Arbeit war, hat sich bitter gerächt: Gesicht, Arme und Nacken sind kräftig verbrannt.

 

Irgendwie paßt das dumpfe Grollen nicht so recht zu meinem Traum. Es will aber nicht aufhören. Schließlich ist die Identifikation des Geräusches abgeschlossen:

Trommeln.

6.30 Wecken. Der Tag beginnt. Zwischen dem ersten Antreten um 7.00 und dem Abmarsch zur Brücke, unserem Drehort für heute morgen gibt es noch eine Menge vorzubereiten. Schließlich gelingt es mir, eben noch einen Becher Kaffee hinunterzuschütten, bevor die französische Infanterie die Hauptstraße hinunter marschiert und die Kanoniere ihre Geschütze mit Zugseilen rasselnd über den Asphalt ziehen.

 

Aus der blumengeschmückten  kleinen Fußgängerbrücke ist inzwischen mittels Brettern und Planken eine Brücke von Lodi geworden, die sich kaum noch von der Vorlage unterscheidet, die wir (sind es schon 2 Tage?) vorgestern angesehen hatten.

Um unser Tagesprogramm zu absolvieren, drehen wir heute morgen mit 2 Kameras an verschiedenen Plätzen. Während Bruder Roland 100 Meter entfernt auf dem kleinen Vorplatz der Kirche die Militärschule von  Brienne vor der Kamera wieder aufleben läßt, ist es meine Aufgabe, den Sturm der Franzosen auf die Brücke zu koordinieren.

Wir proben verschiedene Szenarios, vorgehen, schießen, zurückgehen, laden, wieder vorgehen. Im Vordergrund fährt die Artillerie mit 2 Kanonen auf, um den Angriff durch flankierendes Feuer zu unterstützen.

Das gegenüberliegende Ufer wird bereits von weißgrauen Schwaden künstlichen Pulverdampfes eingehüllt und das Special Effects Team läßt Schlieren von Kunstblut flußabwärts treiben. Für die Kamera unsichtbar liegt neben der Brücke ein uniformierter Dummy. Er wird nachher von der Brücke stürzen. Ein Taucher steht zur Bergung der Puppe sowie für sonstige Gegenstände, die ins Wasser fallen sollten, bereit.

 

Um 10.oo sind endlich die Pferde da und hoch zu Roß treibt General Bonaparte seine Soldaten mit anfeuernden Rufen ins mörderische Abwehrfeuer der Österreicher. Binnen weniger Minuten haben wir wieder einen Mikrokosmos aus Feuer, Rauch, laufenden Soldaten, brüllenden Offizieren. Der Kreis schließt sich. Wir haben das Bild, das vor 200 Jahren aus der Erinnerung an das Geschehen entstand, wieder mit Leben erfüllt.

 

Vor der Kirche ist mittlerweile das Artillerieexerzieren abgeschlossen, die zweite Kamera kommt zu uns und dreht  „close-ups“, während die Technik mit Kamera 1 abbaut und umzieht.

Kurz nach 11 sind die Schienen verlegt, die royalistischen Aufständischen auf Position und der Verkehr angehalten, damit im Hintergrund keine Autos fahren.

Der „Mob“ besteht aus unseren tschechischen Freunden, die zu Teilen ihrer österreichischen Uniform zivile Kostüme tragen, sowie einigen „echten“ Zivildarstellern aus Deutschland und Frankreich. Angeführt wird die Horde vom Geschäftsführer des Freundeskreises Lebendige Geschichte (FLG) , der dem mehrsprachigen Haufen schlicht erklärt, man solle „Freibier“ skandierend die Gasse entlangstürmen.

Gesagt getan. Steine, Säbel , Knüppel und Gewehre schwingend quetscht der Trupp Didier so an die Wand das sein „Action“ im „Freibier“-Geschrei untergeht. Die Kamera fährt direkt neben  der Gruppe her  und fängt Szenen von einer Bedrohlichkeit ein, die beeindruckt.

 

Umbau. Zweite Einstellung über die Rohre der Geschütze. Feuerbereit warten die Kanoniere, die Lunte glimmt, näher und näher kommt der mörderische Mob.

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Hoch in die Luft gereckt ist der Arm des Offiziers, auf dessen Feuerbefehl die zum zerreißen gespannten Nerven der Soldaten warten. Die Kamera fixiert die Degenspitze, diese saust herab, „Feu“ überschlägt sich die Stimme des Kommandierenden, die Lunte senkt sich auf das Zündloch , zwei nahezu zeitgleiche Detonationen dröhnen in die Häuserschlucht.

Unter hellem Klirren ergießt sich ein Regen von Glassplittern in die Gasse. Der Rauch verzieht sich, die ersten Reihen sind niedergemäht, liegen übereinandergefallen oder kriechen schwerverletzt, der Rest läuft, rennt, stürzt in panischer Flucht davon.

 

Die „Verletzten“ erheben sich, klopfen sich ab, gehen zurück in die Anfangsposition. Die Assistenten kommen mit Schaufeln und Besen gerannt, Fabrice steigt mit einer Leiter zu den Fensterresten und schlägt die letzten Trümmer heraus. Romain trägt in sein Notizbuch ein :

„1 Fenster zertrümmert“

Didier zuckt mit den Schultern. Dieses Haus sei momentan nicht bewohnt, so habe er auch keinen erreichen können . Glücklicherweise fielen die Splitter weit hinter die Darsteller.

 

12.30. Truppen und „Zivilisten“ gehen Mittagessen. Zusammen mit den Jungs von der Requisite baue ich die neue Szene für den Nachmittag. Danach schleppen wir mit einem Traktor die Kanonen auf Feld No.1. Um 14.00 sind alle wieder in Position. Die Tschechen diesmal (erstmalig) in ihrer weißen Uniform als Österreicher. Mit wenigen Handgriffen haben wir aus der Pariser Vorortstraße eine Gasse im böhmischen Tellnitz umgebaut. Verschanzt hinter einer Barrikade warten die Franzosen auf den Angriff der Alliierten, wissend das von ihrem Aushalten der Erfolg der Schlacht abhängt. Napoleons Plan für Austerlitz basierte darauf, den vorgeschobenen Flügel der österreichisch- russischen Armee angreifen zu lassen, diesen Angriff aufzuhalten und zwischenzeitlich das von Truppen entblößte Zentrum zu durchbrechen. Diese Szene steht für Sonntag auf dem Plan, heute dagegen Straßenkampf in Tellnitz !

 

Dichte Nebelschwaden wabern durch die Dorfgasse. Die  feindlichen Jäger schleichen von Deckung zu Deckung, während im Hintergrund unter Trommelwirbel die dicht geschlossene Kolonne der Infanterie ins Dorf rückt. Mit leisem Klicken werden hinter der Barrikade die Steinschloßmusketen gespannt. Die Kamera hat den französischen Blickwinkel. Da huscht wieder ein Jäger vorbei.

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Der am weitesten vorgeschobene Franzose schlägt an und...

„Cut“! brüllt Didier ins Megaphon. Alles stoppt. Mit leisem Fluchen spannt der Schütze seinen Hahn zum zweiten Versuch, nachdem der Feuerstein nicht gefunkt hat.

„Action“ der Jäger läuft wieder, der Hahn schlägt auf die Pfanne...

„Cut“! You’ll be dead, schreit David hinter der Kamera hervor. Gewehre werden getauscht, die Pfanne geleert, einmal, zweimal abgeschlagen, der Stein funkt.

Pfanne befüllt, Hahn gespannt. Tellnitz die dritte.

Krachend entlädt sich die Muskete,der Jäger stürzt, seine Kameraden eröffnen das Feuer. Die Kolonne kommt näher, das Abwehrfeuer schlägt in ihre Reihen.

„ Halt, legt an Feuer“ , die Blauröcke schießen zurück. Pulverdampf füllt die Gasse, der Angriff stockt, mehr und mehr Österreicher fallen, sie weichen zurück.

„Cut“! Diesmal ist die Szene im Kasten. Erlösung für die Anwohner. Nach 90 Minuten dürfen sie ihre Häuser wieder verlassen, die Fensterläden öffnen. „Finis la Guerre“ quäkt das Megaphon.

 

 

Die Innenstadtszenen sind abgedreht. Roadies und Techniker wuchten Material in die wartenden Transporter, dann werden Stroh und Erde weggefegt. Nach einer Stunde fällt Pont de Vaux wieder in seinen Nachmittagsschlaf.

 

Auf der Place d’armes wächst mittlerweile das Zeltlager. Nun sind auch die Italiener und die Engländer eingetroffen. Es fehlen noch einige Deutsche und Franzosen. Am morgigen Samstag beginnen hier die Feierlichkeiten für General Joubert, geboren in Pont de Vaux, gefallen vor 200 Jahren in der Schlacht von Novi. Das Programm läuft parallel zu den Dreharbeiten und wird uns noch so manches Kopfzerbrechen bereiten.

 

Bis 18.30 sind die Schienen neu verlegt, alles Material auf Feld No.1 transportiert und die Truppen einsatzbereit. Auf der grünen Wiese wird nun noch einmal die Brücke von Lodi gedreht, diesmal aber von vorne, so daß man nur die vorwärts laufenden Infanteristen sieht.

Mit einer Spur aus Mehl wird die Breite der Bücke markiert, die Szene kurz geprobt und

„Action“. Das ganze gipfelt im Abfeuern einer österreichischen Kanone, die „die Brücke“ der Länge nach bestreicht.

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Abschließend noch die „Motivationsszene“ . Der General reitet zwischen der Infanterie und den Geschützen hindurch und feuert die Soldaten an, von diesen mit lautem Jubelgeschrei begrüßt. Sehr eindrucksvoll, nur nicht für das Pferd des Generals, das sofort beim einsetzenden Gebrüll der Mannschaften panikartig nach rechts wegspringt. Nach dem dritten Versuch schließlich hat das Pferd eingesehen, das diese brüllende Horde stehen bleibt und auch sonst nichts weiter tut. Also auch diese Aktion abgehakt und die mittlerweile brummelnden Truppen ins Lager entlassen.

 

Nachdem wir den Einsatz und zeitlichen Ablauf für Samstag besprochen, Sequenzen geändert, andere ganz verworfen und das Programm  derart gestrafft haben, beschließe ich in die Stadt zu gehen, um etwas zu essen und einige der mittlerweile eingetroffenen Freunde zu treffen.

Kaum habe ich meine Pizza bestellt, platzt Didier herein und halst mir ein Problem mit Musikuntermalung auf, die er morgen früh braucht. Außerdem erfahre ich, daß unsere Russen zwar heute planmäßig in Paris eingetroffen sind, nicht aber in Macon den Zug verlassen können, weil nach 19.00 keine Fernzüge mehr  dort halten. Da ich aber nur einen Fahrdienst bis Macon organisiert habe, dieser auch nicht in der Lage ist, bis ins 120 km entfernte Lyon zu fahren, habe ich noch genau 30 Minuten um dieses Problem zu lösen, damit der Abholer pünktlich um Mitternacht am Lyoner Bahnhof steht.

2 unserer französischen Freunde erklären sich kurzerhand bereit, und so stehen um 2.00 morgens die letzten unserer Akteure im Lager.

 

Wann ich schließlich in mein Zelt krieche entzieht sich meiner Kenntnis, aber ich habe den Eindruck daß die Trommel in dem Moment anfängt zu schlagen, als ich die Augen schließe...

Vor der langen Reihe der Zelte sind die Truppen angetreten. Soweit das Auge reicht blaue Röcke der Franzosen, weiße Jacken der Österreicher, das Braun der Artilleristen wechselt mit der bunten Vielfalt der Kavalleristen.

Didier wuselt schon im Lager herum. Verdammt, die Musik! Die CD, deren Ausleihe ich gestern abend noch vereinbaren konnte, wird nun auf einmal heute morgen für die Einspielungen hier in der Stadt gebraucht.

Aber wir haben etwas besseres: der Trommler der französischen Garde wird live spielen. Zufrieden zieht Didier ab.

 

 

Die Truppen steigen in die Busse, deren Fahrer eigentlich am liebsten bis Mittag weitergeschlafen hätten. Feld No.2 ist heute angesagt, ein paar Kilometer außerhalb der Stadt, wo sich bereits Fuhrpark und Zelte der Filmcrew ausbreiten und gerade als wir eintreffen auch die Pferde angekommen sind. Es beginnt der übliche Verteilungskampf um die brauchbarsten Vierbeiner, zwar freundschaftlich wie unter unseren Kavalleristen üblich, aber den letzten beißen dennoch die Hunde.

Heute erwischt es den kleinen Xavier aus Paris, der in seiner grün –roten Jägeruniform ein hypernervöses Tier zu bändigen versucht. Im Zivilberuf Tourismusmanager ist er Kummer gewohnt, hier aber muß er nach einer Stunde entnervt aufgeben. Nun teilt er sich ein Pferd mit Robert, dem stämmigen Holländer. Wir versuchen unterdessen, Ersatz für das „unbrauchbare“ Pferd zu bekommen.

9.00 Szene1. Marsch. Die „Grande Armee“ marschiert von Boulogne nach Ulm und Austerlitz.

Eine Wegstrecke ist mit feinem rotem Staub präpariert und hüllt die Truppen ein, die darüber hinwegschlurfen. 2 Stunden geht das, erst Infanterie, dann die Reiter, nochmal aus einer anderen Perspektive, dazwischen Umbau der Kameras, warten für die Truppen.

Es ist heiß und langweilig. In der Stadt läuft zwischenzeitlich die Gedenkveranstaltung an und unsere Zurückgebliebenen haben im Lager alle Hände voll zu tun.

Als wir Szene 2 ankündigen, für die wir nach Freiwilligen fragen, wird es kurios. Die in Napoleons Armee als "Murrköpfe" verschrieene alte Garde erklärt sich sofort bereit, die Linientruppen weigern sich und wollen zurück in die Stadt.

Also teilen wir auf und ziehen mit der Garde, den Reitern und den Kanonen zum neuen Set. Dort wartet schlechtes Wetter auf uns. Künstliches, versteht sich, denn die Julisonne brennt noch immer auf Felder und Wiesen. Entlang der Bäume, die den Weg säumen sind Wasserleitungen verlegt, die auf Kommando einen kräftigen Landregen auf die Soldaten niedergehen lassen. Der Feldweg wurde vorher mit Torf bestreut und kräftig gewässert, so daß die Illusion perfekt ist.

Während 20 Meter weiter die Hilfskräfte in Shorts und T-shirt unter der Hitze stöhnen, marschieren wir in Mänteln durch den regnerischen Herbst 1805.

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Ein Blick auf die Uhr zeigt mir, daß jetzt langsam die für Mittag bestellten Sandwiches eintreffen müßten. Der Versuch , in die Stadt zu telefonieren schlägt, wie üblich fehl. Die Walkie-Talkies, mit denen wir am Set ausgerüstet sind, funktionieren zwar gut, aber drin in der Stadt hat keiner eines. Also ziehe ich einen von den Reitern ab und schicke ihn, comme il faut, als Meldereiter ins Zeltlager, um die Verpflegung anzumahnen.

 

Mittagspause...