Alfred Umhey:

   PULVER, SCHWEISS UND BEAUJOLAIS
S. 2

     

 

Mittagspause. Wein, Wasser und die Sandwiches sind endlich angekommen. Am Ende der Verteilung stehe ich da mit leeren Körben und einigen Krümeln. Da ich nicht auf ein Wunder mit Broten und Fischen hoffen kann, obwohl Didier von mir Wunder am laufenden Band erwartet, beschließe ich, auf das Essen zu verzichten.  Mit Allyson und Didier brüte ich über einer Planänderung. Die Garde hat erklärt, sie müsse am Nachmittag unbedingt in der Stadt sein. Also können wir den Angriff der alten Garde bei Waterloo nicht wie vorgesehen ab 17.oo drehen, sondern ziehen ihn vor. Das bedeutet warten für die Truppen, die jetzt Austerlitz drehen sollten. Die meisten nutzen die Wartezeit um zu exerzieren. Der Rest döst im Schatten vor sich hin.

 

In der Stadt spult das Programm ab. Straßenkampf, Artilleriefeuer, zum Abschluß ein Defile. Danach Lagerleben mit rauchenden Feuern, Soldaten die Gewehre putzen, Marketenderinnen die Essen kochen und Musikanten die zum Klang von Dudelsack und Trommel alte französische Volkslieder singen.

 

Draußen auf Feld No.2 machen unsere unermüdlichen Tschechen Modenschau. Für sie hat die Requisite englische Uniformen besorgt, rote Röcke die schon vor 30 Jahren in Sergej Bondartschuks berühmtem „Waterloo“ - Film im Einsatz waren. Stolz posieren die neuen „Briten“ in diesen Uniformen. Der amerikanische Set -Fotograf lichtet sie von allen Seiten ab. Da hat man was zum zeigen daheim!

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Die Choreographie für den Gardeangriff wird festgelegt, Rauchmaschinen verteilt, die britische Infanterie und die Kanone gehen in Stellung. Als wir die Dummies im Vordergrund plazieren fällt mein Blick auf einen von grünweißem Pelz überzogenen Rock, der mir merkwürdig bekannt vorkommt. Statt die Uniform nach ihrem Bad im Fluß von gestern zu trocknen, verschwand sie in Requisitenwagen, naß wie sie war. Romain notiert:

„1 Uniform durch Wasserschaden zerstört“

 

Wieder markiert ein weißer Mehlstreifen das Blickfeld der Kamera. Nach 2 Proben sitzt der Angriff und wieder einmal stirbt die Garde...

 

Die „Grognards“ dürfen abrücken, die 9. Leichte und unsere Tschechen, nun wieder in Blau machen eine Zeitreise von 10 Jahren, von 1815 nach 1805 und finden sich unversehens im dichten Nebel des 2. Dezember wieder. Hier steht die Division St. Hilaire und wartet auf den Angriffsbefehl, der den Durchbruch durch das feindliche Zentrum auf den Pratzen Höhen bringen wird.

 

Martin, der schlacksige Offizier der 9. geht mit ruhigen Schritten vor der Front seiner Leute auf und ab. Keiner spricht ein Wort. Die Spannung ist so augenfällig, das die Luft zu knistern scheint.  

 

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 Dann der erwartete Befehl:

„En avant, marche!“  Die lange Reihe setzt sich in Bewegung, der Nebel reißt auf , die Sonne von Austerlitz bescheint die sieggewohnten, schlachterprobten Krieger, die zu neuem Ruhm vorwärts marschieren.

„Cut“  kräht Didier, der zunehmend seine Stimme verliert. Der dritte Tag schreien in Folge fordert seinen Preis. Die Linie ist in der Mitte abgeknickt, die links außen sind zu spät losgelaufen, weil sie den Befehl nicht gehört haben. Flugs postieren wir uns mit 4 Unteroffizieren hinter der Linie, die  Martins Kommando wiederholen, worauf alle gleichzeitig losmarschieren. Manchmal hilft es, sich darauf zu besinnen, wie es damals gemacht wurde!

 

Szenenwechsel. Mittlerweile ist es fast 19.00. Die Schienen bleiben liegen, es geht auf der anderen Seite weiter, wo die Requisite inzwischen eine Szene „Nach der Schlacht“ aufgebaut hat. Die Tschechen haben Dienstschluß, die 9. Leichte spielt Tote und Verwundete. Mittendrin der Berichterstatter, dem die  Rolle eines am Bein verwundeten Soldaten zufällt, an welchem sich ein Chirurgus zu schaffen macht.

Obwohl ich weiß, das es nur Show ist, bekomme ich doch ein mulmiges Gefühl als Andreas seine Instrumente auspackt, mit   einem höllisch scharfen Messer mein Hosenbein aufschlitzt und das zum Vorschein kommende Fleisch mit wenigstens einem Liter Kunstblut überschwemmt. Kalt und klebrig verteilt sich die glitschige Masse über das Bein.

Wir warten auf „Action“. David möchte erst noch eine Probe haben. Der Chirurg beugt sich über mein Bein und wie ein Phantomschmerz durchzuckt mich ein Krampf, der mich schreien und zucken läßt, so weh tut es.

„No Acting, Alfred“ ruft David. Don’t cry, don’t smile, just lay and wait...“

Ich massiere das Bein ein wenig, der Schmerz ist weg. Ringsum qualmt und brennt es, dazwischen die „hingeschlachteten“ Infanteristen. Ich sehe nichts von alledem sondern blicke zuerst in den Himmel, dann schließe ich die Augen.

 

Ich werde wach als mich der Produktionsassistent an der Schulter rüttelt. „C’est fini“. Verwundert blicke ich mich um. Die Toten sind alle weg, drüben auf der anderen Seite der Kameraschienen steht eine Gruppe von Österreichern, malerisch vor die untergehende Sonne drapiert. Letzte Impressionen, Jean-Luc, der Kriegsberichterstatter, der diesmal einen friedlichen Krieg fotografiert, macht die letzten Schnappschüsse.

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Schluß für heute. Die Crew trottet zurück zum Basiscamp, beim Abendessen besprechen wir den nächsten Tag, den letzten.

Meine Hose hängt noch in Fetzen und das Bein ist „blutüberströmt“ als ich im Lager in der Stadt ankomme. Alexander, unser kleiner Trommler aus Wien starrt mit schreckgeweiteten Augen auf meine zombiemäßige Erscheinung.

Mein Bruder, der die Situation erfaßt hat, kommentiert mit Leichenbittermiene, so sähe halt ein Bein aus, wenn ein Pferd ausgeschlagen habe. Während ich die festgeklebte Hose vom Bein abzulösen versuche, kommt der Trommler mit einem nassen Handtuch gelaufen, das er mir wortlos in die Hand drückt und davonläuft.

 

Nachdem ich die Hosenfragmente nebst Blut vom Bein abgeweicht habe, und gerade in eine frische Uniform geschlüpft bin, kommt er wieder, mit seiner Mutter im Schlepptau, die auf das Schlimmste vorbereitet ist und mir nach unserer schmunzelnden Aufklärung fast das nunmehr klebrige Handtuch um die Ohren geschlagen hätte. Auch Alexander fand das in diesem Moment gar nicht lustig.

 

Den Rest der Nacht verbringe ich an verschiedenen Feuern, zuletzt mit unseren italienischen Freunden aus Modena und einer Gruppe von Musikern aus England. Als dann die letzten Reste  Wein schließlich umgefüllt sind, beginnt es zu regnen.

Wir verziehen uns in die Zelte.

 

Sonntag morgen 7.00. Der Appell fällt buchstäblich ins Wasser. Es schüttet wie aus Kübeln. Der untere Teil des leicht abschüssigen „Place d’armes“ hat sich in eine Seenplatte verwandelt.

Die Tschechen rennen, retten, bergen. Mit Säbeln und Astgabeln werden Drainagen gezogen, da sonst keine Werkzeuge da sind. Wer nicht hilft, sammelt sich in den großen modernen Mannschaftszelten, die die  Gemeinde oberhalb unseres historischen Lagers als "Festzelte" aufgestellt hat. .Die paar Helfer die noch übrig sind, kommen nicht nach, für alle Kaffee zu kochen, denn die Feuergruben unserer Lagerfeuer sind bereits übergelaufen, so hoch steht das Wasser auf dem Platz.

Parade 9.00 ade. Pech für die Stadt. Schlimmer aber- werden wir drehen können?

Artillerie, Kavallerieattacke bei Waterloo, Sturm auf die Pratzenhöhen. 3 Schlüsselszenen sind für heute noch auf dem Programm!

Didier kommt mit grimmiger Miene, in einen Ostfriesennerz eingehüllt. Der Transporter für die Kanonen fährt vor. Wetter existiert nicht, wenn ein Drehplan festliegt.

Ob er denn heute künstliche Sonne machen könne, wird Didier gefragt. „On vera- man wird sehen“.  Drehbeginn wird auf 10.00 festgelegt.

Die Kanonen sind bei dem aufgeweichten Boden nicht früher in Stellung zu bringen. Sonntag 18. Juni 1815, Waterloo. Dieselbe Meldung wird Napoleon überbracht. Die Geschichte hat uns wieder eingeholt.

 

Um 10.00 stehen wir am Set, Feld No.2. In einer langen Reihe sind die Kanonen aufgereiht. Die Schienen für die Kamera drücken sich in den weichen Untergrund. Mario und seine Mannen vergraben Sprengladungen. Der Regen hat aufgehört.

 

Während die Geschütze Feuer und Rauch speien, dazwischen Explosionen Erdbrocken auf die Kanoniere regnen lassen und dichter weißer Qualm die Szenerie einhüllt, sattelt die Kavallerie ihre Pferde.

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Jetzt fehlen uns aber die Rotröcke. Denn die Kameraden von gestern stehen gerade in Hemdsärmeln knöcheltief im Wasser, wringen ihre nassen Sachen aus und fallen für den Rest des Tages aus.

Also müssen die Weißröcke herhalten. Die haben eh‘ schon alles gespielt und freuen sich, daß nun auch sie in den Genuß der berühmten Uniformen kommen. Richard, unser Offizier der Royal Marines macht einen Schnellkurs in britischer Taktik mit ihnen, und schon geht’s ab ins Kornfeld, wo sie die Attacke der französischen Reiterei erwarten.

 

Am Jeep haben die Techniker eine Vorrichtung installiert, die es erlaubt in voller Fahrt neben den Reitern herzufahren und die Kamera dennoch ruhig zu halten. Der ganze Aufbau erinnert an Hatari- Großwildjagd in Ostafrika. Wir bauen die Kamera hinter den Rotröcken auf, so daß die Perspektive derjenigen der Soldaten entspricht. Vor uns ist das Schlachtfeld von Pulverdampf durchzogen, von einigen Sonnenstrahlen durchbrochen. Die Kamera wartet, bis der Blick auf die Reiter frei ist, dann fokusiert der Rangefinder. Es kann losgehen.

 

„Roll camera“ ertönt es aus dem Walkie-Talkie. „Speed“ bestätigt Allyson. James gestattet mir noch einen Blick durch das Objektiv, danach verfolge ich das Geschehen abwechselnd auf dem Monitor und live.  Mit vorgestreckten Säbeln braust die Kavalkade heran. Die Kamera  startet auf der Säbelspitze und zieht dann auf, bis das ganze Bild von vorwärts stürmenden Reitern ausgefüllt ist. Der Betrachter kann garnicht anders als anzunehmen, das rechts und links hunderte weiterer Reiter heranpreschen.

 

Aber auch das was ich vor mir sehe, ist beeindruckend. Die geschlossene Front der Reiter kommt auf uns zu , der Boden vibriert, jeden Moment sind sie über uns. Wie eine Speerspitze ragt die Formation der Rotröcke in Richtung Angreifer.

Unüberwindliche , dichtgeschlossene Vierecke, Karrees genannt. Mit diesen menschlichen Bastionen trotzten die Briten den tausenden feindlicher Reiter auf dem schlammigen Hang südlich von Mont St. Jean, an jenem Sonntag im Juni 1815. Ich denke zurück, als ich zum ersten Mal in Waterloo im großen Rundgemälde stand, überwältigt von der Wirkung des gemalten Geschehens. Heute ist es Realität. Links und rechts umkreisen die Reiter die roten Reihen, schlagen und stechen nach den Infanteristen ohne sie zu erreichen .

Ruhig laden diese ihre Musketen und schießen erbarmungslos in die sie umschwärmenden Haufen. Die Reiter drehen ab, reiten zurück , sammeln sich, attackieren erneut. Fast drei Stunden dauerte dieses Gemetzel in Wirklichkeit.

Wir haben es auf 2 ½ gebracht, ohne einen Verlust an Menschen oder Pferdeleben.

 

In der Zwischenzeit herrscht in der Stadt Chaos. Die gefluteten Teile des Lagers sind abgebrochen, die „abgesoffenen“ Truppen verladen ihr Gepäck und machen sich reisefertig.

Die  Parade ist auf 15.00 verschoben, zu spät für unsere Akteure, die bis zu 16 Stunden Busfahrt vor sich haben.

Auch uns fehlt die Zeit, die uns heute morgen der Regen gekostet hat.  Nun noch die verschobene Parade, das wird knapp. Rasch wird umgeplant, Feld 2 nicht gleich abgebaut sondern Kameras und Technik auf Feld 3 transportiert, 10 km weit weg, bei Chardonnay.

Dort haben wir nach langem Suchen bei der Vorbereitung den Hang gefunden, der nun den „Pratzen“ bei Austerlitz darstellen wird, in dem entscheidenden Moment, als die französische Infanterie das Zentrum durchbricht und die Schlacht für Napoleon gewinnt.

 

Mittlerweile herrscht wieder brütende Hitze. Die Motivation ist auf dem Tiefpunkt, alle sind abgekämpft von Dreh und Parade gleichermaßen. Und doch gelingt es Allyson und mir, einen Bus voll unermüdlicher Krieger zusammenzubringen. Wieder einmal müssen die Weißröcke als Franzosen herhalten. Kopfbedeckungen werden getauscht, die Truppen so arrangiert, daß die „echten“ Franzosen im Vordergrund und die getürkten im dritten und vierten Glied stehen.

 

Unten "Call-Sheet". Nichts bleibt dem Zufall überlassen...

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Auch ich schultere meine Muskete, jetzt kommt es auf jeden Mann an. Wir stapfen hügelaufwärts, von Marios Explosionen umrahmt. Diesmal hat er Zement auf die Sprengladungen gehäuft. Die letzten beiden gehen weniger als einen halben Meter vor der ersten Linie hoch. In Sekundenschnelle hat sich die Spitze der blauen Kolonne in eine graue verwandelt...

Schienen konnten die Techniker auf dem Hang in der kurzen Zeit nicht mehr verlegen. So müssen alle von der Crew heran und mit Seilen den Kamerawagen hangaufwärts ziehen.

Jeder weiß, es sind die letzten Szenen, und alle geben ihr letztes.

 

Um 19.00 ertönt Didiers letzte „Cut“ und jubelnd fällt sich das Team in die Arme. Ein dreifaches „Hurra“ auf die Soldaten ertönt, dann geht es heimwärts.

 

Zum Abendessen um 22.00 sind alle die noch da sind, und sich dazu aufraffen können ins Filmcamp eingeladen. Die Caterer geben ihr bestes, und die letzten Reserven von Côte du Rhone und Chardonnay rinnen durch die durstigen Kehlen.

Ein lange, herzlicher Abschied folgt.  Unsere Wege trennen sich, doch das gemeinsame Erleben verbindet. Als ich allein  über das nun leere Feld blicke, da scheint es mir,  als ob in der Ferne ein kleiner grauer Reiter auf einem Schimmel Richtung Westen davonreitet...

 

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NAPOLEON -Soldier, Emperor, Lover, Statesman

PBS home Video

David Grubin Productions 2000

www.pbs.org

 

Der Bezug sollte auch über >Amazon.de< oder >Amazon .com< möglich sein.

Angemerkt werden sollte noch, daß sich auf der DVD zusätzlich

ein Bonustrack "making of" als Draufgabe befindet!.

 

Alfred Umhey