Frank
Gießmann:
Nachtgedanken
eines Figurensammlers.
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Oben:
Figuren der Maßstäbe 1/72 und 1/32. Figuren u.Foto Rolf Fuhrmann
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Wer
hat diese Situation nicht schon einmal erlebt?
Man sitzt
irgendwann einmal genervt vor seiner zig- tausendsten Figur, macht seinen
x-millionsten Pinselstrich, baut sein werweißwievieltes Diorama,oder
liest sein hundertstes (natürlich völlig überteuertes) Fachbuch
und plötzlich taucht diese anfangs winzig kleine, aber mit zunehmenden
Alter immer bedeutungsvollere Frage auf: "Wozu mache ich das eigentlich
alles ?"
Gute
Frage! Zugegeben, angefangen hat es wie bei vielen anderen potentiellen
Sammlern auch, in der heimischen Sandkiste, wo tausende wackerer Airfixkrieger
ihr kaltes feuchtes Grab für die Ewigkeit fanden und garantiert nie
wieder auftauchen sollten. Dann folgte die schier endlose Schulzeit wo
im eigenen Ranzen immer einige WK I. Briten als Verstärkung vorort
mit dabei waren (man wußte ja nie, was kam ...).
Und
wenn dann der Milchzahn mal zwackelte oder Mumps und Masern erbarmungslos
zuschlugen, dann halfen die guten alten WK II. Japaner von oben benannter
Firma besser, als jeder Bohrer oder noch so kalte Wadenwickel.
Und
in der Lehrzeit,die gleich die gesammte brauchbare Freizeit mit in
Anspruch nahm,da gab es auch nur: Einmal die Woche Kino, ab und zu mal
in die Disco und als Trost für Versäumtes: Figuren! Kurz darauf
dann der erste pubertäre Stilbruch:
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Links:
54mm-Figut Preußischer Husar, HISTOREX.
Figur
und Foto Rolf Fuhrmann. |
Die
Figur blieb zwar immer noch maßgeblich und auf jeden Fall das Wichtigste,
diesesmal allerdings war es eher die Figur der ersten Freundin. Auch
in der Bundeswehrzeit verloren die kleinen Männer aus Plastik leider
mehr und mehr an Bedeutung, man war nun selbst nur eine "Figur" und eben
auch nur eine ganz winzige. Die Zeit danach brachte das übliche: Verlieben,
verloben, heiraten, geldscheffeln, aufbauen, anschaffen uns so weiter und
so fort.
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Aber
da war immer noch diese seltsame Leere in einem. Irgendetwas fehlte,
was einen früher irgendwie glücklich gemacht hatte. Und dann,
irgendeines Sonntagmorgens auf dem Flohmarkt, standen sie plötzlich
da, die guten alten Airfix- Knubbels aus den Sechzigern und schienen einem
förmlich zuzuwinken.
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Nachts,
während die holde Angetraute längst schon friedlich neben einem
schlummerte, diskutierte man mit sich selbst noch einmal "Die Vorgehensweise
bezüglich der nächsten Bemalungsschritte" durch und visuallisierte
vor dem geistigen Auge schon einmal das nächste Diorama.
Man bastelte
hunderte von Zügeln an zügellose Esci- Pferde, klebte Knetgummi-Mantelrollen
auf britische Sättel, malte winzige Äuglein, Bärte und kaum
sichtbare Knöpfe, baute um und chirurgierte wie weiland Professor
Semmelbier an seinen stummen Opfern
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Oben:
54mm Weichplastikfigur aus der AIRFIX-Großpackung "Französische
Infanterie 1815" (Foto Rolf Fuhrmann)
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Dann
begann man damit, Höhen und Tiefen in die Bemalung einfließen-
und jeder Figur die bestmögliche Behandlung angedeihen zu lassen,
versorgte
arme Soldaten die nicht viel hatten, mit fehlenden Rucksäcken, Taschen
und Ähnlichem und kramte längst fertiggeglaubte Sätze wieder
hervor um an ihnen "unbedingt Notwendige" Ergänzungen vorzunehmen.
Irgendwann
- um die Geschichte noch zu toppen - kamen die ersten Kleinserienhersteller
auf den Markt, womit das "Jagen und Sammeln" erst recht losging.
Der bis
dahin eigentlich recht anonyme Figurenhändler wurde in kürzester
Zeit zum begehrten Figurendealer! Er war der Mann, der alles hatte, alles
was das immer noch kindliche und sensible Sammlerherz sich wünschte
und er war auch der, der alle Neuigkeiten schon etwas früher als die
anderen wußte.
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Er
war und ist aber leider auch immer noch derjenige, der uns vertrösten
muß, wenn die langerwartete Mega- Neuerscheinung sich um ein halbes
Jahr (oder länger) verschiebt und damit schwarze Wolken am Hobbyhimmel
heraufbeschwört.
Durch
diverse Kleinserien erschienen im Laufe der Zeit immer wieder Sachen auf
dem Markt, die man sich früher nicht hätte träumen lassen
und die heute in meinen Dioramen nicht mehr wegzudenken sind.
Auch wenn
diese kreativen Herren mich bisher einiges an Geld gekostet haben, das
Hobby wäre ohne sie nicht mal halb so schön und vieles schlichtweg
nicht oder nur mit größtem Aufwand möglich.
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Links:Pikenier
der 54mm-Größe (Maßstab 1/32) von CALL TO ARMS.
Figur
Kai Fuhrmann, Foto Rolf Fuhrmann. |
Und
was sagt die Dame des Herzen zu alledem?
Nun,die
weiß immer, wo ihr Mann gerade ist, braucht denselben nie aus irgendwelchen
Kneipen zu zerren und sich vor allen Dingen keine nervtötenden Fußballübertragungen
im Fernsehen anzusehen.
Außerdem
reicht schon der geringfügigste Hinweis darauf, daß die langbeinige
Blondine, der man gerade nachsieht, garantiert nicht besonders nachsichtig
mit den diversen Figuren-und Hobbywünschen umgehen würde, um
den Blick wieder - ganz zahm - auf die angetraute Frau zurück zu lenken.
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Oben:
1/72 Art Miniaturen Zinnfiguren Britische Foot Guards. Foto Rolf Fuhrmann.
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Der
typische Figurensammler"meines"Typs
hat in
den sechziger-siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts zu sammeln begonnen
und dürfte jetzt in seinen Dreißigern und Vierzigern stehen,
Tendenz eher steigend.
Seine
Kaufkraft ist zur Zeit zweifellos recht hoch, ergo auch die Summe der Neuerscheinungen.
Aber wie lange wird das noch so bleiben?
Da viel
Licht auch viel Schatten bringt, versuchen auch viele eher minderwertige
Hersteller ihr Glück mit anatomischen Wunderfiguren, die eigentlich
eher in Knister- Blistertüten in der Spielwaren-Abteilung im Supermarkt
hängen sollten, als in Sammlerstuben Ahnungslose zu erschrecken. |
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Und
wenn dann der Sensenmann dereinst kommt (vermutlich im Maßstab 1:1),
wem vermache
ich die unzähligen bemalten und umgebauten Figuren, Häuser und
Fuhrwerke?
Kann man
Pyramiden oder Zeitkapseln anmieten zum Zwischenlagern und Anlocken künftiger
Forschergenerationen? Oder wird meine Sammlung in der soviel treues Herzblut
steckt,
einst
gar aufgelöst und in alle Winde verstreut werden (Was für eine
Horrorvorstellung!).
Was passiert
also mit all den filigranen,unberührbaren - weil so zerbrechlichen
- Figuren mit den doppeltgestückelten und geklebten Armen, angebackten
Waffen und fachmännisch versetzten Köpfen, von denen eigentlich
nur ich weiß wo und wie man sie ungestraft ohne Bruch anfassen darf.
Wird
der Meister womöglich rechtzeitig einen Novizen zum weiterführen
seiner Kunst finden,
oder wird
die herrliche Pracht irgendwann einmal von ungerührter Hand sang-
und klanglos im gelben Sack für Plastikmüll ver- schwinden?
Und wird
dieser mögliche Novize dann nicht doch vielleicht lieber auf dem Computer
die alten Schlachten mit überraschend lebensecht nachgeahmten Trickfiguren
nachspielen, als mit übelriechender Farbe und Pinselreiniger zu hantieren
um kaum sichtbare Oberflächendetails hervorzuheben?
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Oben:
1/72 Zinnfigur von Frank Germershaus, Bemalung Frank Germershaus. Foto
Rolf Fuihrmann. |
Fragen
über Fragen und (vorerst) keine Antwort. Nur eines ist gewiß:
Es hat
mir immer sehr viel SpaB gemacht mit den Plastik- Jungs und ich konnte
- gottähnlich - blühende Landschaften erschaffen, die es sonst
so nirgendwo gab. Egal wie dicke es im Leben auch kam,sie waren - abgesehen
von meiner Frau - die einzig wahre Konstante und sind es bis heute geblieben.
Und scheinbar
muß es im Leben wohl auch Dinge geben die vordergründig nicht
unbedingt viel Sinn machen, hintergründig jedoch eine Menge dazu beitragen,
um eine gewisse Zufriedenheit zu erlangen, die andere (ohne Hobby) wohl
so nie erleben werden.
Das muß
dann wohl auch gemeint gewesen sein, als ein großer Weiser folgende
Worte gelassen aussprach:
"Es
ist nicht wichtig was man macht, sondern wie man es macht!"
Eben mit
Freude. Damit ist meine anfangs gestellte Frage zwar nicht gänzlich
beantwortet, aber man ist vielleicht ein kleines Stückchen weiter
und den Rest erledigt - ganz und gar vollautomatisch - die Zukunft.
Und wir,
wenn wir es wollen!
Frank. |
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